Im Anschluss Gespräch mit: Evgenia Gostrer, Prof. Dr. Jannis Panagiotidis und Anna Schapiro.
Am 3. April 2022, 11 Uhr, zeigte die Filmemacherin, Dagesh-Künstlerin und ELES-Alumna Evgenia Gostrer ihren Film „Kirschknochen“ im ausgebuchten Kino Krokodil, Berlin-Prenzlauer Berg. Das Publikum setzte sich aus Künstler*innen, ELES-Studierenden und -Ehemaligen sowie Interessierten aus dem Kiez zusammen.
„Kirschknochen“ ist ein zutiefst persönlicher dokumentarischer Animationsfilm (18min, OmU), der die Geschichte einer russisch-jüdischen Familie erzählt. Die Regisseurin des Filmes tritt mit ihren Eltern ins Gespräch, die in den 1990er Jahren mit ihr aus Russland nach Deutschland emigrierten.
Nach der Filmvorführung sprachen Evgenia Gostrer, Prof. Dr. Jannis Panagiotidis, Forschungszentrum für die Geschichte von Transformationen an der Universität Wien, und Anna Schapiro, Künstlerin, Autorin, Mitherausgeberin der Zeitschrift Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart und ELES-Alumna, über den Film und das Leben der sogenannten jüdischen Kontingentflüchtlingen in Deutschland. Die Filmemacherin erzählte zudem von ihrem Weg zur Animationsfilmemacherin, wie sie die Knete als Material für ihre künstlerische Arbeit entdeckte und so ihre eigene künstlerische Sprache erfand. Vor Abschluss der Veranstaltung beantwortete Evgenia Gostrer zahlreiche Publikumsfragen zum Film.
Hintergrundinfo zum Film:
Von 1990 bis 2005 migrierten ca. 230.000 Jüdinnen*Juden aus der (ehemaligen) Sowjetunion nach Deutschland. So wie zehntausende andere sogenannte Kontingentflüchtlinge haben die Eltern der Filmemacherin Evgenia Gostrer keine langen Berechnungen angestellt, bevor sie Russland verlassen hatten. Was sie bewegte, war die Zuversicht, dass ihre Kinder es einmal besser haben würden. Ihre Hoffnung hat sich erfüllt. Die Sozialwissenschaftlerin Julia Bernstein zeigt, dass „diejenigen, die als Kinder oder Jugendliche nach Deutschland gekommen oder hier geboren sind, selbstverständlicher Teil der Gesellschaft, akademisch gebildet und politisch sowie kulturell engagiert [sind].” Die Eltern-Generation, diejenigen, die den Kraftakt der Migration geschultert haben – sind weitgehend unsichtbar (und in Armut?) geblieben.
Diese Frage treibt Evgenia Gostrer an, als sie ein Gespräch mit ihren Eltern sucht. Gostrer selbst ist fast vierzig Jahre alt, etwa so alt wie ihre Eltern bei deren Ausreise. Auch sie packt ihre Sachen, um berufsbedingt nach England zu ziehen. Das Gespräch stellt die Leerstellen der Migration in den Raum: Das Erlernen einer neuen Sprache. Die Frage, was Jüdischsein in Russland oder Deutschland bedeutet. Die Bedeutung des Verlusts von sozialem Status und Freund*innen für eine erwachsene Person. Oder die Weigerung der deutschen Mehrheitsgesellschaft sich als das zu sehen, was sie längst ist: eine Einwanderungsgesellschaft.
Evgenia Gostrer ist Teil des Künstler*innen-Netzwerkes von Dagesh. Weitere Infos hier: https://dagesh.de/kuenstler/evgenia-gostrer/
Eine Kooperationsveranstaltung von Berliner Landeszentrale für politische Bildung, Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart, Dagesh- Jüdische Kunst im Kontext und Leo Baeck Foundation.