Laudatio von Hannan Salamat auf Elianna Renner I Omanut-Zwillenberg-Förderpreis 2024
„Liebe Anwesende, liebe Elianna,
Es ist mir eine grosse Freude, heute eine Künstlerin zu würdigen, deren Werk weit über Kunst hinausgeht. Elianna Renner bewegt sich nicht nur an der Schnittstelle von Biografie und Geschichte, sie gestaltet Leerstellen – Leerstellen zwischen Menschen, zwischen Erinnerungen und, besonders wichtig, zwischen Gemeinschaften, die in der öffentlichen Wahrnehmung oft gegeneinander ausgespielt werden: jüdischen und muslimischen Communities.
Meine Verbindung zu Elianna begann Anfang 2024, in einer Zeit grosser Unsicherheit und Anspannung, nur wenige Monate nach dem 7. Oktober. Es war mir damals ein Bedürfnis, ein Shabbat-Essen mit Freund:innen in Berlin zu organisieren, um in dieser schwierigen Zeit einen Moment der Gemeinschaft zu schaffen. Einer der Gäste war Daniel Laufer, ein Filmemacher und Künstler, der beim Transalpinen Festival 2022 bei uns in Zürich zu Gast war.
In einem unserer Gespräche erzählte ich ihm, wie schwer es mir fällt, jüdische Künstler:innen aus der Schweiz zu finden, die ähnliche Themen bearbeiten wie wir bei not_your_bubble – Themen wie Identität, Erinnerung und die Frage, wie Zugehörigkeit und Verbundenheit entstehen. Daniel sagte: „Ich kenne da jemanden.“
Wenig später war der Kontakt zu Elianna hergestellt, und seitdem ist ein lebendiger Dialog zwischen uns entstanden – über Kunst als Mittel der Begegnung und darüber, wie wir gemeinsame Projekte entwickeln können, die jenseits der klassischen Trennlinien jüdisch-muslimischer Identität ansetzen.
Was mich sofort an Elianna beeindruckt hat, ist ihr tiefes Verständnis dafür, dass Erinnern keine statische Angelegenheit ist. Sie schafft Orte und Räume, in denen Geschichte lebendig wird – nicht nur, um die Vergangenheit zu bewahren, sondern auch, um sie für die Gegenwart fruchtbar zu machen. Besonders eindrucksvoll zeigt sich das in ihrem Projekt Köfte Kosher, das sie in Bremen ins Leben gerufen hat.
Köfte Kosher begann als jüdisch-muslimisches Jugendprojekt und entwickelte sich zu einem der sichtbarsten künstlerischen Erinnerungsorte in der Bremer Innenstadt. Mit Jugendlichen schuf Elianna einen Gedenkpavillon, der an zwölf Menschen erinnert, die aufgrund ihrer Religion, ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Orientierung, einer Behinderung oder weil sie obdachlos waren, ermordet wurden. Darunter ist auch Marwa El-Sherbini, die 2009 im Landgericht Dresden aus islamfeindlichen Motiven ermordet wurde.
Elianna zeigte nicht nur, wie wichtig es ist, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, sondern auch, wie man junge Menschen für Themen wie Zivilcourage und den Kampf gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sensibilisieren kann.
Ein weiteres eindrucksvolles Beispiel ihrer Arbeit ist das Projekt Tracking the Traffic, in dem Elianna historische und aktuelle Formen des Frauenhandels beleuchtet. Ausgangspunkt war ihre umfangreiche Recherche zur Geschichte des jüdischen Zuhälterrings Zwi Migdal, der im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert Frauen aus Osteuropa in die Prostitution zwang. Elianna bereiste dafür mehrere Kontinente, sprach mit Historiker:innen und Künstler:innen und schuf multimediale Installationen, die die oft vergessenen Biografien dieser Frauen sichtbar machen.
Besonders berührend ist die persönliche Dimension des Projekts: In Buenos Aires initiierte Elianna eine Gedenkzeremonie für Raquel Liberman, die als einzige Frau der Geschichte einen Zuhälterring vor Gericht brachte. Dadurch wurde nicht nur ein verwilderter Friedhof zu einem Ort der Erinnerung, sondern auch ein kollektiver Raum geschaffen, der Vergessenes ins Bewusstsein ruft.
In Eliannas Arbeit geht es immer auch um die Frage: Wie erinnern wir – und wem gehört die Erinnerung? Sie fordert uns heraus, unsere Komfortzonen zu verlassen und uns mit der oft unbequemen Wahrheit auseinanderzusetzen, dass Erinnerung politisch ist. Sie macht deutlich, dass Erinnern nicht nur Rückblick bedeutet, sondern auch Verantwortung – Verantwortung dafür, wie wir die Vergangenheit in der Gegenwart verhandeln und wie wir für die Zukunft daraus lernen können.
In einer Zeit, in der jüdisch-muslimische Beziehungen oft durch Polarisierung und Vorurteile belastet sind, setzt Elianna mit ihrer Arbeit ein Zeichen der Hoffnung. Sie zeigt, dass Kunst ein gemeinsamer Raum sein kann – ein Raum, der Brücken baut, wo andere nur Gräben sehen.
Elianna, du lehrst uns mit deinem Werk, dass Zugehörigkeit und Gemeinschaft nichts ist, das einfach da ist – Zugehörigkeit und Gemeinschaft ist etwas, das wir gemeinsam erschaffen. Du zeigst uns, dass wir nicht an bestehenden Trennlinien festhalten müssen, sondern neue Räume des Dialogs und der Begegnung schaffen können.
Dass du dafür heute mit dem Omanut-Zwillenberg-Förderpreis 2024 ausgezeichnet wirst, ist mehr als verdient. Deine Arbeit erinnert uns daran, dass Geschichte niemals nur eine Abfolge von Daten und Fakten ist – Geschichte ist lebendig, sie wird von Menschen erzählt und gestaltet, und sie lebt in den Geschichten, die wir miteinander teilen.
Liebe Elianna, ich danke dir für dein Engagement, für deinen Mut, dich den schwierigen Themen zu stellen, und für deine unermüdliche Arbeit, Räume zu schaffen, in denen wir einander begegnen können. Ich freue mich sehr auf alles, was wir in Zukunft gemeinsam gestalten werden – auf neue Geschichten, neue Verbindungen und neue Räume der Vielstimmigkeit.
Herzlichen Glückwunsch zu dieser wohlverdienten Auszeichnung!“
Zürich, 15. Januar 2025 vom Vorstandsvorsitzende vom DialoguePerspectives e.V. Hannan Salamat
Foto: Hannan Salamat